Was haben Piraten mit der Festa delle Marie zu tun? Was verbirgt sich hinter der Tradition der Masken? Stimmt es, dass der Carnevale dereinst 6 Monate dauerte? Auf diese und weitere Fragen gebe ich Dir eine Antwort – hier in meinem Artikel: Wie der Carnevale nach Venedig kam.  

Es ist Sonntag, 08.00 Uhr morgens und ich stehe auf dem Markusplatz in Venedig – alleine. Die Nacht zuvor herrschte ein Gedränge und Getöse, von der Bühne vor dem Museo Correr ertönte Live Musik, die Leute tanzten, die RAI machte hier ein Interview, dort eine Aufnahme und nun: herrliche Stille.

Plötzlich ein Getrappel, hastige Schritte und ein Paar, das zum Bacino eilt, dem Uferabschnitt vor den beiden Säulen, San Teodoro und San Marco. Die Sonne lässt das Wasser glitzern, die Gondeln bewegen sich leicht im Wind. Eine Stimmung wie im Film.

Ich folge dem Fotografen und seinem Modell.  Sie trägt eine venezianische Robe und eine der typischen weißen Masken, mit schwarz umrandeten Augen und einer kleinen Träne auf der rechten Seite. Blau-grün der Umhang und ebenso der mit Perlen und Federn geschmückte Hut. Die Finger stecken in farblich passenden Handschuhen. Sie stellt sich am Ufer des Bacino direkt vor den Gondeln auf und in schnellem Stakkato folgen nun die Anweisungen, die ich aus der Ferne interpretiere: Dreh Dich da hin, nein – andere Seite, schau nach unten, mach einen Schritt zur Seite, jetzt zur Piazzetta (der kleine Platz vor dem Markusplatz), bring die Hand zum Gesicht etc.

Von wegen ‚hoheitsvolles Schreiten‘ oder gar ‚sich der Schönheit des Augenblicks hingeben‘: das ist harte Arbeit!

Ich nähere mich der blau-grün-gewandeten Maske und frage sie auf Italienisch, woher sie und ihr Fotograf kommen. Beide blicken mich etwas unsicher an und antworten dann auf Englisch: Sorry, we only speak a little Italian, scusi no italiano. An ihrem Akzent erkenne ich, dass sie Deutsche sind. Wir kommen ins Gespräch und die beiden erzählen mir, dass ihr Herz am Carnevale di Venezia hängt und sie bereits das fünfte Mal, immer am letzten Wochenende des Karnevals, hier sind. Während des Jahres schneidert die (nicht mehr ganz so junge) Dame nach historischen Vorlagen ihr Kostüm, nebenbei, in ihrer Freizeit; eigentlich ist sie Versicherungskauffrau. In Venedig mutiert sie zum Modell und ihr Gatte zum professionellen Fotografen. Ich bin begeistert. Mittlerweile ist ‚meine‘ Maske nicht mehr die einzige, die sich hier am Außenflügel des Dogenpalasts zur Schau stellt. Ganze Filmtrupps rücken an, um ihre Modelle ins rechte Licht zu rücken und die ultimative Aufnahme zu machen. Ein richtiges Spektakel, das hier – jenseits der offiziellen Veranstaltungen – stattfindet. Ich ziehe mich ins Hotel zurück und beginne zu recherchieren: 

Wie kam der Carnevale eigentlich nach Venedig?

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Man schrieb das Jahr 1094. In Venedig wuchs die Bevölkerungszahl stetig und der Unterschied zwischen den Schichten wurde immer größer. Die Unruhe nahm zu. Da beschloss der Doge Vitale Fallier ‚Spiele für alle‘ zu veranstalten und er verkündete: Die Tage vor der Fastenzeit werden zu Feiertagen! Mit Musik, Spaß und Tanz!

Auf den Hauptplätzen, entlang der Riva degli Schiavoni, auf der Piazzetta und der Piazza San Marco wurden Bühnen aufgebaut, Jongleure, Gaukler, tanzende Tiere und Akrobaten faszinierten das Volk. Allerorts spielten Trompeter, Pfeifenspieler und Trommler und Straßenhändler verkauften getrocknete Früchte und das (auch heute noch) typische Karnevals-Gebäck: die Fritole (ähnlich der Krapfen). Unbekannte Süßwaren wurden angeboten. Dank Marco Polo und der engen Handelsbeziehungen, die Venedig mit dem Orient pflegte, lernte das venezianische Volk ganz fremde Geschmäcker kennen!

Doch das Wichtigste war die Verkleidung:

Das klassische Karnevals-Kostüm sah einen Tabarro (Mantel), die Bauta (Maske vor dem Gesicht) und den Tricorno (Dreispitz) vor. Wer sich kein eigenes Kostüm leisten konnte, musste nicht darauf verzichten, sondern mietete es einfach bei einem der vielen Revendigola (Kostümverleiher).

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Erst ab 1268 gab es unterschiedliche Masken. Es entwickelte sich eine richtige Masken-Industrie: verschiedene Materialien, vielfältige Techniken und Scuole (Schulen), an denen diese gelehrt wurden! Die Masken-Macher wurden mascareri genannt und sie genossen hohes Ansehen. Im Jahr 1436 wurde ihre Tätigkeit offiziell als Handwerksberuf eingetragen. Heute gibt es nur noch wenige ‚echte‘ Maskenmacher. Einer von ihnen zeigt während der Karnevalstage sein Können: traditionelles Handwerk im wahrsten Sinne des Wortes! Was für ein Unterschied zu den vielen (made in China) Masken, die in den meisten Geschäften Venedigs verkauft werden. 

Zunächst dauerte der offizielle Carnevale sechs Wochen: vom 26.12 bis zum Aschermittwoch. Doch die Lust am Feiern kannte keine Grenzen. So starteten die Festivitäten häufig bereits viel früher: Anfang Oktober wurden die ersten Bälle gegeben, man sah Maskierte in den Calli und am Bacino und die Venezianer gaben sich ihrem liebsten Zeitvertreib hin:  

Was für eine wunderbare Gelegenheit sich – hinter einer Maske versteckt – über den Adel oder gar die Autoritäten lustig zu machen, Kontakte zu knüpfen und die Moral außen vor zu lassen!

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Karnevals, die in die Annalen eingegangen sind

Wenn man an die Karnevalsumzüge in Mainz, Düsseldorf oder Köln denkt, ploppen unweigerlich die Bilder von Festwägen auf, die durch die Straßen ziehen und meist aktuelle Themen und den einen oder anderen Politiker zum Gegenstand haben. Das kannten (konnten) die Venezianer bereits 1571! Nach der siegreichen Schlacht der Christen gegen die Ungläubigen bei Lepanto zogen Festwägen über die Piazza San Marco. Als demütiger Drache wurde der unterlegene Glaube dargestellt. Allegorien verkörperten hingegen die christlichen Tugenden.

Im Jahr 1664 wurde Hochzeit gefeiert im Hause Cornaro. Was für ein passender Anlass, um die Feierlichkeiten mit dem Karneval zu kombinieren! Über Wochen zogen sich die Festivitäten hin, ein bis dato ungesehener Prunk prägte die Tage. Höhepunkt war ein Aufmarsch der prächtigsten Masken, der schließlich vor den beiden berühmtesten Nonnenklöstern der Stadt (San Lorenzo und San Zaccaria) Halt machte. Die Konsequenzen zeigten sich 9 Monate später!

Nur wenige Jahre darauf, am 27. Februar 1679 hatte der Herzog von Mantua seinen großen Auftritt: Mit einem Gefolge von Indianern, Negern, Türken und Tartaren zog er durch die Stadt und bekämpfte dabei sechs Ungeheuer. Was für ein atemberaubendes Spektakel, selbst für die mit Attraktionen verwöhnten Venezianer.

Venedig wurde zum Sinnbild von Vergnügen, Spiel und Masken. Es war die Welt von Giacomo Casanova, dem Schriftsteller und Frauenheld. Es war die Zeit berühmter Maler wie Giambattista Tiepolo und Rosalba Carriera und es war die Epoche Carlo Goldonis. Er modernisierte die Commedia dell’Arte, zeigte den Venezianern den Spiegel: er brachte ihr Leben auf die Bühne, stellte sie dar, ihre losen Sitten bloß – und die Venezianer jubelten ihm zu.

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Doch dann kam Napoleon und mit ihm das (vorläufige) Ende des Carnevale di Venezia. 

Napoleon und die Habsburger

Gesichter hinter Masken versteckt? Männlein und Weiblein nicht klar erkennbar? Weite Umhänge, unter denen sich gefährliche Waffen verstecken ließen?

Das war viel zu gefährlich! So verbot Napoleon schlichtweg den Carnevale. Und die kurz danach an die Macht gekommenen Österreicher beließen es dabei. Eine Jahrhunderte alte Tradition schien dem Vergessen anheim. Wenn, ja wenn da nicht im Jahre 1979 die Stadt Venedig beschlossen hätte, den Carnevale di Venezia wieder aus der Asche zu heben. Grund: es sollten mehr Touristen nach Venedig kommen!

Neubelebung alter Traditionen

Ob die Stadtoberen damals ebenso entschieden hätten, wenn sie sich das heutige Ausmaß auch nur annähernd vorgestellt hätten? So aber taten sie in den frühen 80er Jahren alles dafür, um alte Traditionen wieder zu Leben zu erwecken und vermeintlich alte als solche zu titulieren.

Eine der wiederentdeckten Traditionen ist der Volo dell’Angelo, der offizielle Start der Karnevals-Aktivitäten auf dem Markusplatz. Hier kommen nun auch die eingangs erwähnten Piraten und die Festa delle Marie ins Spiel:
Einst war es Usus, dass der Doge einmal im Jahr die zwölf schönsten Mädchen aus armen Familien auswählte. Die Mädchen erhielten vom Staat eine Mitgift in Form von Juwelen und von den Patriziern eine Schenkung, welches es ihnen ermöglichte zu heiraten. Die Eheschließung wurde in einer offiziellen Zeremonie in San Pietro gefeiert. Als im Jahre 946 die Trauungen gefeiert wurden, drang plötzlich eine Truppe Piraten in die Kirche ein, raubte die Mädchen und ihre wertvolle Mitgift. Doch weit kamen die Angreifer nicht mit ihrer Beute. Der Doge organisierte sofort die Verfolgung und in der 
Nähe von Caorle wurden die Mädchen befreit, die Entführer getötet und die Mitgift sichergestellt. Bei der Rückkehr nach Venedig feierte die Bevölkerung ihren Doge und die Befreier und der Senat beschloss, diesen besonderen Tag, an dem Venedig wieder einmal seine Stärke gezeigt hatte, jedes Jahr aufs Neue hochleben zu lassen. Das war der Startschuss für ‚La Festa delle Marie‘.

Heute werden Anfang Januar aus etwa 100 Bewerberinnen zwischen 18 und 28 Jahren die schönsten zwölf Mädchen (jeweils 2 für eines der sechs Sestieri) ausgewählt. Diese marschieren am ersten Karnevalssonntag nach einer feierlichen Messe in einem Festzug von San Pietro di Castello zur Piazza San Marco. Begleitet vom Dogen und seinem Hofstaat, alle in historischen Kostümen aus dem 18. Jahrhundert. Um 11.00 Uhr wird die schönste Marie des Vorjahres an einem Drahtseil vom Campanile heruntergelassen und schwebt über die begeisterte Menge in die empfangsbereiten Arme des Dogen.

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Mit dem Svolo del Leon – der Abflug des Löwen – am martedì grasso (Faschingsdienstag) enden die Feierlichkeiten. Die Fahne der Republik Venedig wird von der Bühne auf dem Markusplatz an einem Seil zum Campanile gezogen, dort in eines der Fenster hineinbefördert und – aus ist er, der Carnevale di Venezia. Zumindest offiziell. Inoffiziell feiert man weiter bis Mitternacht, auf den unterschiedlichsten Festen. Zum Beispiel im Palazzo Ca‘ Vendramin Calergi. Hier residierte einst Richard Wagner, komponierte dort seinen Parsifal. Heute findet dort der völlig überteuerte (aber umso begehrtere) Ball The Official Dinner Show and Ball statt. Hier genießen die Gäste zum Preis von 500,00 Euro pro Person ein ‚typisches‘ venezianisches Fest mit Aperitif, 5-gängigem Menü, Tanz und mitternächtlicher Show.

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Stille Momente im Trubel des Carnevale?

Durchaus! Zum Beispiel bei der Vogata del Silenzio am Faschingsdienstag, um 23.30 Uhr an der Rialto Brücke.

Langsam gleiten die Gondeln im Kerzenschein durch den Canal Grande. Tausende Lichter lassen die Palazzi in einem mysteriösen Spiel von Licht und Schatten aus dem Wasser tauchen. An der Punta della Dogana angekommen, wird der Karneval symbolisch verabschiedet: mit einer mitten im Bacino angezündeten Installation. Ein berührender, ein stiller Moment im sonst so umtriebigen Venedig!

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Magst Du Venedig abseits der Touristenpfade kennenlernen? Als Insider? Vielleicht sogar mit einem Sprachkurs kombiniert? Auch in diesem Jahr wird Venedig wieder Ziel von verschiedenen Sprachreisen sein. Das Programm findest Du hier. Wenn Du Fragen hast oder einfach ‚mehr wissen willst‘, dann schreibe mir eine Email unter info@italviva.de! Ich freue mich auf Dich! 

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