Wieso spricht man in Südtirol eigentlich Deutsch? Was sollte man sonst sprechen, magst Du vielleicht entrüstet einwenden. Steckt doch bereits im Namen Südtirol der Begriff Tirol. Doch Südtirol gehört zu Italien. Und die Amtssprache ist Italienisch – aber auch Deutsch. Warum das so ist und wie es dazu kam, erzähle ich Dir in diesem Blogartikel.
Machen wir zunächst einen Sprung zurück in der Geschichte:
Bereits vor mehr als 1500 Jahren war das Gebiet des heutigen Südtirols von bairischen, alemannischen und germanischen Stämmen bewohnt. Im Jahr 751 n. Chr. waren es die Bajuwaren, die Südtirol beherrschten (das war die Zeit der Karolinger). Im Jahr 1363 wurde Südtirol dann der Grafschaft Tirol zugeordnet und wurde ein Teil Österreichs – unter Habsburger Herrschaft.
Dann kam der 1. Weltkrieg und er veränderte alles:
Im Jahr 1919 wurde durch den Vertrag von Saint-Germain die Grenze Italiens zum Brenner verschoben, 550 Jahre Zugehörigkeit zu Tirol gingen zu Ende. In Südtirol waren auf einmal 200.000 deutschsprechende Südtiroler Italiener. Zunächst änderte sich nicht viel für sie. Doch mit dem Amtsantritt von Mussolini setzten die Repressionen ein. 1923 beschloss Mussolini, Südtirol endlich zu einer echten italienischen Region zu machen.
Rabenstein wird zu Pietra di Corvo

Es begann die so genannte „Italianisierung“. Aus den sudtirolesi wurden die altoatesini. So mancher Gutsbesitzer verlor seinen Hof, die deutsche Sprache wurde verboten und man zwang die deutschsprachigen Bewohner, ihre Namen zu italianisieren, z.B. wurde aus dem Namen Rabenstein der Name Pietra di Corvo. Selbst die Namen auf den Grabsteinen mussten geändert werden. Die Straßen erhielten nun italienische Namen.
Damit auf den Ämtern und den wichtigsten Behörden auf jeden Fall Italienisch gesprochen wurde, schickte Mussolini viele Beamte aus dem Süden Italiens nach Bozen und Meran.
Deutschsprachigen Lehrern war es verboten in der Schule zu unterrichten – außer sie taten es auf Italienisch. Was den Widerstand der Bevölkerung hervorrief. Es entstanden die sogenannte Katakomben-Schulen – la scuola delle catacombe. Der Unterricht wurde nicht gerade in Katakomben, aber versteckt in Hinterzimmern, in der Sakristei der Kirchen oder im Heustadel abgehalten. Auf Deutsch. Was natürlich streng verboten war. Selbst als Umgangssprache war Deutsch untersagt. Ertappten die camice nere (Schwarzhemden) Mussolinis jemanden dabei, so griffen sie rigoros durch und verhafteten die ‚Verbrecher‘, auch Frauen und Jugendliche waren nicht davor gefeit.
Dableiber – Optanten

Am 23. Juni 1939 beschlossen Italien und Deutschland, dass die altoatesini bis zum 31.12.39 entscheiden mussten, ob sie nach Deutschland gingen (die sogenannten Optanten) und damit ihren ganzen Besitz in Südtirol verloren oder ob sie dableiben wollten (die sogenannten Dableiber), unter der Bedingung, dass sie ‚italienisch‘ wurden. Ein immenser Zwiespalt, dem die deutschsprachigen Südtiroler ausgesetzt waren. Wer beschloss zu bleiben, wurde des Verrats an der eigenen Kultur bezichtigt. Wer gehen wollte, musste mit dem Vorwurf leben, die anderen im Stich zu lassen. Bis zum Stichtag optierten 72% der Südtiroler, also 230.000 Menschen für das Deutsche Reich. Letztendlich waren es dann aber ‚nur‘ 75.000, die Südtirol Richtung Deutschland verließen. Die meisten von ihnen kehrten nach dem 2. Weltkrieg wieder nach Südtirol zurück.
Als der Krieg vorbei war, gewährte Italien Südtirol bereits 1946 einen Autonomiestatus, allerdings gemeinsam mit dem Trentino – das zu diesem Zeitpunkt bereits durch und durch italienisch war. Dies führte zu starken Protesten in Südtirol. Via da Trento wurde ein geflügeltes Wort. Die Südtiroler organisierten sich im bewaffneten Widerstand. Doch erst die Serie an Bombenanschlägen le notti dei fuochi mit vielen Toten führte dazu, dass im September 1972 ein eigenständiges Südtirol-Paket verabschiedet und die Provinz Bozen einen ‚echten‘ Autonomiestatus erhielt.
Dreisprachigkeit in Südtirol


Was heißt das nun konkret?
* Es gibt italienische, deutsche und ladinische Schulen
* In Budget- und vielen Gesetzesangelegenheiten kann die Provinz Bozen eigenständig agieren, weitgehend unabhängig von Rom
* die Amtsschreiben werden in zwei bzw. drei Sprachen verfasst
* in der Provinzverwaltung sind die Leute proportional zum Ethnien-Anteil angestellt
* die Zuteilung an Sozialwohnungen erfolgt auch auf Grundlage des Bevölkerungsanteils
Heute sind in Südtirol 314.604 Personen deutschsprachig (69,4%), 118.120 Personen (26,6%) Italienisch und 20.548 Personen (4,5%) ladinisch. Alle drei Sprachen sind als Landessprachen anerkannt und es gibt sowohl deutsche, ladinische als auch italienische Rundfunk- und Fernsehsendungen. Italienisch wird neben Bozen auch in den Ortschaften Pfatten, Branzoll, Salurn und Leifers gesprochen. Die deutschsprachige Bevölkerungsgruppe ist zum größten Teil in den Dörfern und Gebirgstälern nördlich und östlich von Bozen zu finden, wie beispielsweise im Pustertal oder im Vinschgau. Die Ladiner leben hauptsächlich in den Dolomitentälern.
Wie sieht das Alltagsleben in Bozen aus? 

In den Schulen, in denen deutsch und italienisch als Hauptsprache unterrichtet wird, läuten die Schulglocken mit 15 Minuten Abstand. So treffen sich die beiden Sprachgruppen auch nicht in den Schulpausen.
Manche der Kindergärten haben getrennte Eingänge und getrennte Höfe.
In den Buchhandlungen (z.B. Athesia) ist die Auswahl an deutschen Büchern sehr viel größer als an italienischen Büchern.
Andrerseits ist seit etwa 20 Jahren ganz viel Italienisch in Bozen zu hören. Dies liegt in erster Linie daran, dass Bozen eine Wirtschaftskraft ist. Für viele Italiener aus den südlichen Regionen Italiens ein begehrtes Ziel, da sie in ihren Heimatorten keine Arbeit finden. Bereits unter Mussolini wuchs Bozen von 25.000 auf 65.000 Einwohner, viele der hierher geschickten Italiener halfen beim Aufbau der Industrie in diesem Gebiet. Heute hat Bozen 107.000 Einwohner, gut 70% der Bevölkerung ist italienischsprachig!
Italienisch in Südtirol

Die Italiener in Südtirol wollen Deutsch lernen!
Normaler Weise erkennt man sofort die Herkunftsregion, ja sogar die Herkunftsstadt eines Italieners: quello viene da Modena, perché parla con la erre moscia oder questo è di Ancona, dice sempre ‚sono in Jesi‘. Da die zugewanderten Italiener aus allen Teilen Italiens kamen, kommunizierten sie in Standarditalienisch miteinander. So ist Südtirol der einzige Raum im italienischen Staatsgebiet, in dem es keine italienischen Dialekte gibt!
Heutzutage sehen sich die Italiener in Südtirol vorwiegend als Minderheit, die über keine gemeinsame historische Tradition verfügt. Daher ist ihre Bereitschaft Deutsch als erste Fremdsprache zu lernen, sehr groß. Das Problem dabei: sie lernen in der Schule Schriftdeutsch! Wenn sie es dann im Alltag anwenden wollen, passiert es häufig, dass sie den jeweils gesprochenen Dialekt nicht verstehen und das Gefühl haben, gar kein Deutsch zu können!
Südtiroler Dialekte

Landesweit spricht man in Südtirol mehr als 40 Dialekte. Sie gehören alle zu den südbairischen Mundarten. Natürlich sind in der Mundart auch Lehnwörter aus dem Italienischen sowie dem Ladinischen enthalten. Doch die Südtiroler Dialekte haben sich im Laufe der Jahrhunderte weit weniger verändert als Dialekte in anderen Sprachräumen. Das ist vor allem darauf zurück zu führen, dass viele Täler sehr in sich abgeschlossen sind (waren) und der jeweilige Dialekt als Symbol der Identität gesehen wird.
Einige Ausdrücke, die Du als Südtirol-Urlauber durchaus des öfteren hören könntest:
aui – hinauf
oi – hinunter
hem – dort, dann, da
magari – vielleicht
eppes – etwas
a Hetz hobn – Spaß haben
Mia ham a rechte Hetz ghabt‘ (wir haben einen richtigen Spaß gehabt), sagt man im Bayerischen auch heute noch. Hier sieht man die Ähnlichkeit mit dem Südtiroler Dialekt! !
Als der älteste deutsche Dialekt gilt übrigens das Töldrarische, das im Südtiroler Ahrntal gesprochen wird. Allerdings gerät es immer mehr in Vergessenheit. Jetzt versuchen einige Einheimische die wichtigsten Ausdrücke zu sammeln und den Touristen ‚beizubringen‘.
Büchertipp

Viel Inhalt, perfekt recherchiert und mit viel Familien-Kolorit: das sind die Bücher von Lilli Gruber.
Lilli Gruber ist in einer deutschsprachigen Südtiroler-Familie großgeworden, spricht beide Sprachen perfekt und war die erste Nachrichtensprecherin der RAI. Unter Berlusconi verließ sie das Fernsehen und kandidierte für das Europäische Parlament. 2004 ging sie nach Straßburg. Seit 2008 ist sie wieder beim Fernsehen, hat dort die sehr interessante Sendung Otto e mezzo und reist darüber hinaus als Journalistin in Krisengebiete. In
* Das Erbe (L’eredità) gibt sie die Geschichte ihrer Urgroßmutter Rosa wieder und beschreibt die Zeit Ende des 19. , Anfang des 20. Jhds.
* Der Sturm (La tempesta) erzählt sie von den Kriegsjahren, wie ihre Tante Hella hin und her gerissen ist, zwischen ihrer Liebe zu ihrem Hof und zur deutschen Sprache und Kultur
* Der Verrat (L’inganno) beschreibt la Gruber die Zeit der Attentate, Südtirol in Flammen…
Einen beeindruckenden Roman über die Zeit zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg in Südtirol und die 50er und 60er Jahre hat Francesca Melandri in ‚Eva schläft‘ (Eva dorme) geschrieben. Eingebettet in eine wunderschöne Liebesgeschichte zwischen einer Südtirolerin und einem ‚italiano‘ aus Calabrien.
Die Katakomben-Schulen Le scuole delle catacombe sind Teil des gleichnamigen Buches von Ada Zapperi-Zucker. In Briefform erzählt hier eine junge italienische Lehrerin von ihrer Ankunft in einem Dorf in der Nähe von Bozen, von den Anfeindungen der deutschsprachigen Bevölkerung, den Ungerechtigkeiten und ihrem langsamen Begreifen, auf was sie sich fern der italienischen Heimat eingelassen hat.
Übrigens habe ich meinen italienischen Freunden diese Bücher empfohlen. Sie waren bass erstaunt über die darin enthaltenen Informationen. In der Schule wird wenig über Südtirol und ganz besonders nicht über die Bomber-Jahre gesprochen.
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